Die Fotografie und der Berg

Im Jahre 1856 beschrieb Nadar, ein französischer Fotograf, Schriftsteller, Zeichner und Luftschiffer, die Fotografie als „eine wunderbare Entdeckung, eine Wissenschaft, welche die größten Geister angezogen, eine Kunst, welche die klügsten Denker angeregt und doch von jedem Dummkopf betrieben werden kann.“

Wie viel und wie wenig zugleich sich in diesen 150 Jahren doch geändert hat. Es ist ein Glück, dass heutzutage jeder die Fotografie „betreiben” kann; wie langweilig wäre es doch, bliebe sie nur einigen wenigen vorbehalten.
Der Berg sowie auch die Fotografie haben in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen, sie waren noch nie so beliebt wie zum heutigen
Zeitpunkt. Wir wandern und klettern, wir radeln und laufen: Hinauf, hinunter und rund um den Berg. Dank modernster Technologie können wir dabei alles bildlich festhalten und in kürzester Zeit unsere Eindrücke über diverse soziale Netzwerke mit anderen teilen. Sichtbar für jedermann, jederzeit – auch am anderen Ende der Welt.

Das Fotografieren war jedoch nicht immer so einfach und spontan wie heute, wobei sich in früheren Jahren insbesondere der Bereich der Bergfotografie sehr aufwendig gestaltete. Als der 20-jährige Vittorio Sella (1859–1943), Alpinist und Pionier der Bergfotografie, sein erstes Panoramabild des Monte-Rosa-Massivs vom Monte Mars aus belichtete, musste er zuvor gut ein halbes Dutzend mal aufsteigen, bis er die große und schwere Plattenkamera, das Stativ und die diversen Utensilien, die er für die Erstellung des Bildes benötigte, einsatzbereit vor Ort hatte. Einige Male mehr stieg er auf, bis die Lichtverhältnisse so waren, wie er sie sich für die Aufnahme gewünscht hatte.
Im Vergleich dazu fällt den Bergfotografinnen und Bergfotografen die Arbeit heute um vieles leichter, mit Ausnahme des Faktors Licht. Manchmal findet man die gewünschten Bedingungen bereits beim ersten Mal vor, manchmal ist es über Tage nicht so, wie man es sich erhofft; diesbezüglich hat sich eben nicht viel geändert. Je genauer man weiß, was man im Bilde festhalten will, je intensiver man sich auf eine Situation vorbereitet, umso besser und schneller kann man auf Unvorhergesehenes reagieren und schafft sich dadurch einen Spielraum zur Improvisation.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich mit Bildern so verhält wie mit Ideen: Sie entstehen im Kopf, manche werden sehr schnell umgesetzt, andere weniger, viele niemals. Einige realisieren sich fast wie von selbst, andere erfordern viel Geduld, manche gar große physische Anstrengung. Letztere sind dann meist jene Bilder, die den Fotografinnen und Fotografen selbst am besten in Erinnerung bleiben, da die körperliche Anstrengung im Nachhinein auch immer mit geistiger Euphorie belohnt wird.

Sozusagen eine zweifache Belohnung: Ein schönes Bild und die erfüllende Zufriedenheit, die man nach einer langen Wanderung verspürt. Gerade das ist es, was mich persönlich an der Bergfotografie so fasziniert.

Georg Tappeiner

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